Indien: Kaschmir &, Ladakh
Reisebericht mit Bildern

Götter, Berge, Menschen und Kulturen – Himalaya 1982

(Briefauszüge, Bergtagebuch und nachträgliche Ergänzungen)

 

Von München nach Delhi

Nach den wie immer leicht nervtötenden letzten Tagen vor der Abreise sitzen wir endlich etwas abgeschlafft im Flugzeug von München nach Delhi. Wir fliegen mit einem Jumbo der Syrean Arab Airlines. Ein buntes Völkergemisch sitzt in dieser Maschine - steife Engländer, leicht vergammelte Freaks, Araber, Inder mit und ohne Turban. Bei der Zwischenlandung in Damaskus merken wir, dass wir wieder im Orient sind - es geht so richtig schön chaotisch zu. Überall hocken Leute auf dem Boden und warten auf ihr Flugzeug. Nach einer weiteren Zwischenlandung irgendwo in den Vereinigten Arabischen Emiraten geht es dann endgültig nach Indien.

Nachdem wir die Pass- und Zollkontrolle in Delhi hinter uns gebracht haben, nehmen wir uns einen Scooter, ein Dreirad, von denen jede Menge hier herumflitzen. Um in die Stadt hineinzukommen, machen wir mit dem Fahrer aus, dass wir 15 Rupien zahlen (eine Rupie = ca. 25 Pfennig). Nachdem wir ein paar Minuten gefahren sind, will er auf einmal 50 Rupien haben. Wir denken natürlich nicht daran, diesen unverschämten Preis zu bezahlen, und so steigen wir auf freier Strecke aus. Wir warten eine Weile, ob wir einen anderen Scooter oder ein Taxi bekommen, aber alle Fahrzeuge sind besetzt. So bleibt uns nichts anderes übrig, als mit unserem ganzen Gepäck in der Gluthitze wieder Richtung Flugplatz zu laufen.

Schließlich hält doch ein Scooter, mit dem wir dann für 20 Rupien bis zum Connaught Place, dem Hauptplatz von Neu Delhi fahren. Während Walter ein Hotel sucht, hocke ich mich mit unserem Gepäck in eine schattige Ecke und beobachte das Treiben ringsherum. Wie schon in Südamerika erregen auch hier unsere Bergstiefel großes Aufsehen. Verschiedene Schuhputzer bieten mir ihre Dienste an, Bettlerinnen erzählen mit Jammermiene irgendwelche wortreichen Geschichten. Nach einer Weile geht mir das ganz schön auf die Nerven, und ich bin froh, als Walter endlich ein Hotel gefunden hat. Inzwischen ist es Mittag geworden, und das feuchtheiße Klima ist kaum noch auszuhalten. Gottseidank hat unser Hotelzimmer einen Ventilator, so dass es wenigstens ein bißchen kühler wird. Wir sind ziemlich kaputt und hauen uns erst mal ins Bett.

Von Freunden hatten wir die Adresse einer indischen Familie bekommen, bei der wir nun einen Teil von unserem Gepäck deponieren können(Pickel, Steigeisen etc.). Die Bhagats sind sehr nett, obwohl wir einfach so reingeschneit kommen. Sie gehören - mit einigen Hausangestellten, zwei Autos mit je einem Chauffeur usw. - sicher zur High Society. Die Standesunterschiede durch das hinduistische Kastensystem sind hier gewaltig und fallen viel mehr ins Auge als z.B. in Südamerika. Auf die Dauer könnte ich hier nicht leben - was man da an ausgemergelten, verkrüppelten Gestalten sieht, das ist schon sehr bedrückend!

 

Amritsar, die Hauptstadt der Sikhs

Da es im schwülen Delhi kaum auszuhalten ist, fahren wir am nächsten Tag gleich mit dem Zug weiter nach Amritsar. Die Sikhs sind die Inder mit dem Turban - ihre Religion ist eine Mischung aus Hinduismus und Islam. In Amritsar steht ihr Heiligtum - der goldene Tempel. Wir gehen gleich zweimal zu diesem Tempel - einmal nachts direkt nach unserer Ankunft und einmal tagsüber. Er steht inmitten eines großen Beckens mit heiligem Wasser. In der Nacht liegen jede Menge schlafender Menschen in der Tempelanlage herum - alles ist so ruhig und friedlich, eine echte Erholung für das Gemüt. Leider wird nur ein paar Jahre später diese Tempelanlage Schauplatz blutiger Kämpfe zwischen indischem Militär und militanten Sikhs.

Beim Besichtigen am nächsten Morgen dürfen wir sogar, mit Dutzenden von Pilgern, das heiligste Gebäude, einen kleinen Tempel inmitten eines Wasserbeckens, betreten - was für ein Kontrast zu der gegenteiligen Intoleranz der Mohammedaner. Bei für uns völlig fremd klingender Musik bekommen wir dort einen seltsam schmeckenden Teig, wohl als Symbol der Pilgerfahrt und der religiösen Erneuerung.

In der Tempelanlage werden wir gleich von mehreren Sikhs, die unsere Kameras sehen, angesprochen und um Aufnahmen von ihnen gebeten - das ist uns noch nie passiert! Wir kommen den Bitten gerne nach und somit zu schönen Portraitaufnahmen. Nachdem wir uns die Adressen aufgeschrieben haben, um später die versprochenen Bilder schicken zu können, wollen wir eigentlich die Anlage wieder verlassen, doch wir werden zu einem kostenlosen Mittagessen im Tempel eingeladen.

Vor einem großen Gebäude stehen bereits Dutzende von Pilgern und Bettlern. Wir sind nicht nur im Tempel, sondern anscheinend in der ganzen Stadt die einzigen Touristen - ein bißchen seltsam ist es uns deshalb schon zumute, erst recht, als wir in einer großen Halle mit Hunderten von anderen Einheimischen in langen Reihen auf schmalen Teppichen am Boden Platz nehmen und aus großen Töpfen ein Pilgeressen auf unsere Teller bekommen. Es ist eine nicht gerade appetitlich aussehende Mischung aus Reis und Gemüse. Obwohl wir natürlich als Mediziner hygienische Bedenken haben, bleibt uns jetzt gar nichts anderes übrig, als unsere Portion aus Höflichkeit zu essen. Doch es schmeckt sogar ganz gut und hat - wie sich später herausstellt - auch keine negativen gesundheitlichen Folgen. Voll von diesen überraschenden ersten Eindrücken verlassen wir wieder Amritsar.

                                                

Srinagar -  die Hauptstadt von Kaschmir

In zwei weiteren Tagen fahren wir dann mit Bussen nach Norden in die Provinz Kaschmir. Die Hauptstadt Srinagar liegt  1600 m hoch - dadurch ist das Klima um einiges erträglicher. Tagsüber ist es zwar immer noch sehr heiß, aber wenigstens nicht so schwül wie in der indischen Tiefebene. Das war auch der Grund, warum sich die Engländer während der Kolonialzeit im heißen Sommer hierher in die kühleren Berge zurückzogen. Da sie jedoch kein Land erwerben durften, kamen sie auf die Idee, die auf dem Dal-See schon lange vorhandenen Hausboote auszubauen, zu vergrößern und sie als Feriendomizil zu verwenden. Heute gibt es Hunderte von diesen Hausbooten, in allen möglichen Größen, von halbverfaulten wrackähnlichen Behausungen bis hin zu wahren Luxusbooten. Viele Hausbootbesitzer vermieten einige Zimmer oder das ganze Boot an Touristen. Auch wir quartieren uns in einem aus Preisgründen nicht mehr ganz neuen Hausboot ein. Da es zu viele Hausboote gibt, reißen sich die Leute um einen, und jeder versucht, einem sein Hausboot anzudrehen. Die Einheimischen sind Mohammedaner und sehr geschäftstüchtig. Ähnlich wie in Marokko wird man dauernd von Straßenhändlern angesprochen, und Geschäftsbesitzer versuchen, uns zum Betreten ihres Ladens zu überreden. Mit der Zeit gehen uns diese aufdringlichen Typen ganz schön auf den Wecker.

Die Umgebung gefällt uns dagegen sehr gut: Man kann stundenlang auf dem Dal-See herumpaddeln, die Hausboote und Menschen beobachten und in alle möglichen Seitenarme hineinfahren. Auch die Altstadt mit ihren verwinkelten Gassen ist sehr malerisch. Einmal mieten wir uns auch Fahrräder (1,25 DM/Tag) und radeln am See entlang zu einigen schönen Moghulgärten. Das macht zwar auch viel Spaß, bloß ist es furchtbar heiß - da wird man richtig träge. In den Gärten ist es zum Glück durch die Bäume etwas schattiger. Wir beobachten und fotografieren nicht nur die vielen farbenprächtigen Blumen, sondern auch ebensolche indische Familien, die hier ihren Urlaub verbringen.

Auf dem Rückweg benutzen wir mit unseren Rädern einen schmalen Damm, der über einige Inseln mitten durch den See führt. Walter ist schon ein Stück voraus an einer Horde Jugendlicher vorbeigeradelt, als plötzlich einer von ihnen mir mit seinem Rad den Weg blockiert, und ich mit ihm zusammenstoße und stürze, da ich nicht mehr rechtzeitig bremsen kann. Als Walter dies beim Zurückschauen sieht, kommt er in Windeseile zurück und verfolgt den Übeltäter zu Fßá, bis dieser sich nach einem "Urschrei" seines Verfolgers nicht mehr anders zu helfen weiß, als voll angekleidet in einen dreckigen und morastigen Tümpel neben dem Weg zu springen. Beim Weiterfahren in dieser völlig touristenlosen Gegend bleiben wir vorsichtshalber näher zusammen, müssen aber doch innerlich sehr über diese Episode grinsen.

 

Verhinderte Weiterfahrt und Staatstrauer

Nach zwei weiteren Ausflügen wollen wir nach Ladakh weiterfahren. Doch unerwartet bekomme ich am Abend vorher Kopfschmerzen und Fieber und fühle mich so schlapp und unwohl, dass ich mich nur noch ins Bett legen kann und die nächsten zwei Tage im Hausboot verbringe. Währenddessen erlebt Walter einiges auf den Straáen, deshalb hier sein Bericht.

"Zuerst versuche ich am Morgen, allerdings vergeblich, die schon gekauften Buskarten wieder zurückzugeben. Der Bus fährt also ohne uns los - danach wird der öffentliche Verkehr für Tage ganz eingestellt. Denn der Präsident der Provinz ist gerade gestorben, ein alter, hochverehrter Scheich und Unabhängigkeitskämpfer, der "Tiger von Kaschmir". Die ganze Bevölkerung ist betroffen, kein Mensch arbeitet mehr, Hunderte von Leuten laufen ziellos in den Straßen herum, diskutieren über die Zukunft des Landes und trauern gemeinsam. Am zweiten Tag wird der Leichnam des Scheichs in einem großen Park der Stadt aufgebahrt, und Tausende von Kaschmiris ziehen dorthin, um ihren Führer noch einmal zu sehen. Ich bin als einziger Tourist auf den Straßen unterwegs, um Verschiedenes zu fotografieren und zu filmen.

Als ich am Nachmittag ganz in der Nähe des aufgebahrten Sarges bin, erscheint plötzlich die indische Ministerpräsidentin Indira Gandhi, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen. Durch die Menge geht ein Raunen und ein Wogen, und ich befürchte schon ein Überschwappen der Emotionen mit einer Panik unter den versammelten Menschenmassen. Doch dazu kommt es zum Glück nicht."

Soweit der Bericht von Walter. Da es mir in der Zwischenzeit wieder besser geht, wollen wir am nächsten Tag endlich nach Ladakh weiterfahren. Obwohl wir gar nicht sicher sind, ob wegen der allgemeinen Staatstrauer überhaupt Busse fahren, gehen wir mit unserem ganzen Gepäck zum Busbahnhof, bei dem wir erst einmal stundenlang warten. Währenddessen füllen sich die Straßen mit Zehntausenden von Einheimischen aus der ganzen Umgebung, da der tote Scheich zu seiner letzten Ruhestätte überführt wird. Der lange Trauerzug kommt direkt an unserem Standpunkt vorbei: Der Sarg ist mit einem Meer von Blumen überdeckt, und das Fahrzeug gerät in den menschenübersäten Straßen mehrfach ins Stocken. Nachdem dieses eindrucksvolle Schauspiel vorüber ist, verlässt unser Bus die Stadt Srinagar auf Schleichwegen, um nicht das Missfallen der trauernden Bevölkerung zu erregen.

 

Von Srinagar nach Leh

In dem vollen Bus haben wir zufällig die vordersten Plätze direkt neben dem netten und zum Glück vorsichtigen Fahrer bekommen. So haben wir eine gute Aussicht nach vorne. Die indischen Busse haben bei gleicher Größe mindestens ein Drittel mehr Sitzplätze als europäische, so z.B. fünf Plätze nebeneinander mit einer so geringen Kniefreiheit, dass wir nur mit gespreizten Beinen oder schräg sitzen können. Deshalb ist man nach einigen Stunden froh, wenn man sich bei einer Rast wieder einmal die Beine vertreten kann.

Unsere Fahrt geht zunächst durch grüne Täler und Bergwälder, bis wir unter dem Zoji-La (3500 m) in karges graubraunes Hochgebirge kommen. Dieser erste Pass ist oft bis weit in den Sommer hinein wegen Schnee gesperrt, was auch ein Grund für die Abgeschiedenheit von Ladakh darstellt. Auf der steilen und unbefestigten Serpentinenstraße sind schon mehrere Fahrzeuge in die Tiefe gestürzt. Auf halber Strecke nach Leh übernachten wir in Kargil, dem letzten Dorf mit mohammedanischer Bevölkerung.

Im Monsunschatten des Himalaya sind wir nun in einer neuen Gebirgslandschaft mit weiten kargen Hochflächen und hohen schneebedeckten Gipfeln im Hintergrund. Auch die Dörfer, die Menschen und ihre Kultur sind grundlegend verschieden - wir befinden uns in einer ganz anderen Welt. Nach zwei weiteren Pässen, davon einer über 4000 m hoch, erreichen wir am Ende des zweiten Tages Leh, die Hauptstadt von Ladakh.

Dort steigen wir zunächst einmal zum ehemaligen Königspalast hinauf, der Ähnlichkeit mit dem Potala in Lhasa hat. Von dort oben hat man einen schönen Blick auf das Industal, die gegenüberliegende Gebirgskette und die unter uns liegende Stadt. Anschließend bummeln wir ziellos durch die verwinkelten Gassen, besuchen den Markt und beobachten die typisch gekleideten Ladakhis. Sie sind viel zurückhaltender und freundlicher als die etwas verschlagen wirkenden, aufdringlichen Kaschmiris, die sich als clevere Geschäftsleute den Touristen folgend z.T. auch in Leh niedergelassen haben. Wir sind bei einer ladakhischen Familie untergebracht, bei der wir auch essen können. Auf dem Hochdach des Hauses gibt es sogar eine Dusche mit Warmwasser - allerdings nur bei Sonnenschein: Ein ehemaliges Ölfass wurde schwarz angemalt und dient als Heizkörper für das darin befindliche Wasser.

 

Klöster in Ladakh

Die Bevölkerung Ladakhs bekennt sich zum Lamaismus, der tibetischen Form des Buddhismus. Wegen dieser engen religiösen Bindung an den östlichen Nachbarn wird Ladakh oft als Klein-Tibet bezeichnet, obwohl Sprache und Menschen unterschiedlich sind. Der Lamaismus ist eine Mönchsreligion, die auf Verinnerlichung und Meditation beruht. Typische „äußere Zeichen sind z.B. Gompas (Klöster), Chörten (Heiligenschreine), Gebetsmühlen und -fahnen, Manisteine und -mauern.

Nach zwei Tagen Aufenthalt in Leh und Umgebung machen wir uns im Bus auf den Weg zu zwei berühmten Klöstern. Das erste, Tikse Gompa, liegt hoch auf einem steilen Felshügel, und wir kommen zu schönen Fotos, weil wir im Vordergrund das dörfliche Strohdreschen mit mehreren Eseln aufnehmen können. Dabei werden mehrere Tiere nebeneinander zusammengebunden und um einen Pflock im Kreise herumgetrieben.

Bei der Weiterfahrt ist der nächste Bus - zu unserer Überraschung  der gleiche wie von Srinagar - so voll, dass wir mit ein paar anderen Touristen auf dem Dach mitfahren müssen. Dann erreichen wir das berühmte Kloster Hemis, das vor allem durch sein alljährlich viele Pilger und Touristen anziehendes Fest bekannt ist. Im Gegensatz zu dieser religiösen Veranstaltung ist es jetzt ziemlich ruhig, und wir sind die einzigen Touristen, die auch über Nacht bleiben. Von einem jüngeren Mönch bekommen wir etwas außerhalb der Hauptgebäude eine kleine Lehmhütte zugewiesen, auf deren gestampftem Boden wir unsere Isoliermatten und Schlafsäcke ausbreiten. Da wir genügend Zeit haben, besuchen wir ein paar Mönche in der altertümlichen Küche mit offenem Herdfeuer und bekommen dort die typischen Nahrungsmittel angeboten, nämlich Tsampa (Hirsebrei) und Buttertee. Während ich den Tee kaum herunterbringe (er schmeckt wie ranzige Suppe!) und bald streike, trinkt Walter tapfer seine Schale aus. Später sind wir beim Abendgebet eines einzelnen Mönches dabei, der zu gleichmäßigen Trommelschlägen ein ebenso monotones Singsang aus seinen Büchern abliest.

Schon ganz in der Früh verfolgen wir das langdauernde Morgengebet aller Mönche in dem Hauptraum des Klosters. Die Mönche scheinen nichts gegen die Anwesenheit von Touristen zu haben und lassen sich nicht einmal durch aufdringliche Blitzlichtfotos unh”flicher Besucher ablenken.

Auf der Rückfahrt nach Leh stoppen wir noch einmal bei Tikse und laufen zu den Gebäuden auf dem steilen Berg hinauf. Dieses Kloster beherbergt die meisten Mönche in Ladakh (ca. 100). Einer von ihnen führt uns mit ein paar anderen Touristen durch die wichtigsten Gebäude der sehr interessanten Anlage. Der Mönch ist sehr freundlich, und die ganze Atmosphäre gefällt uns hier besser als in dem vom Tourismus schon leicht veränderten Hemis. Wir wären gerne noch eine Nacht geblieben, fahren aber aus Zeitgründen doch wieder nach Leh zurück.

 

Von Leh nach Zanskar

Wir wollen nicht noch einmal die gleiche Strecke bis Srinagar und Delhi zurückfahren, sondern eine Trekkingtour über den Himalaya-Hauptkamm von Zanskar in die Provinz Himachal Pradesh unternehmen. Dazu müssen wir erst wieder in einer Tagesfahrt bis Kargil zurück. Damit wir unterwegs noch etwas Zeit haben, das weitläufige Kloster Lamayuru zumindest von außen zu sehen, fahren wir von Leh zunächst auf der Ladefläche eines Lasters mit. Bis der nur einmal am Tag fahrende Bus kommt, schinden wir eine Stunde zum Schauen und Fotografieren heraus - und es lohnt sich.

Wieder in Kargil, versuchen wir noch am Abend eine Gelegenheit zum Weiterfahren nach Zanskar zu finden. Nach längeren strittigen Verhandlungen über den Fahrpreis können wir in einem Verschlag über dem Fahrerhaus eines LKWs mitfahren. Die mehr als zweitägige Fahrt über schlechte Straßen und hohe Pässe ist ein Abenteuer für sich - die Strecke existiert erst seit kurzem und ist nur für Laster und Geländefahrzeuge befahrbar. Am Abend des ersten Tages machen wir noch eine Wanderung zu einem Joch, deren Länge wir allerdings ziemlich unterschätzt haben. Doch von oben hat man einen schönen Blick auf die gegenüber aufragenden Siebentausender Nun und Kun (Besteigung 7 Jahre später 1989). Erst am Ende des dritten Tages erreichen wir schließlich nach einem dazwischenliegenden Fußmarsch unser Ziel Padum, den Ausgangspunkt unserer geplanten Trekkingtour.

 

Trekking in Zanskar

Padum ist die Hauptstadt von Zanskar - doch was wir hier vorfinden, ist nicht viel mehr als ein Kaff. Wir brauchen noch Benzin für unseren Kocher, doch so etwas ist hier nicht aufzutreiben. Aber wir haben Glück und finden einen Touristen aus Australien, der noch welches übrig hat und es uns verkauft.

Am Morgen besuchen wir das Tagrimo-Kloster. Dort treffen wir einen sehr netten Mönch, der uns gleich einlädt. Er merkt sogar, dass mir der Buttertee nicht schmeckt und versorgt mich mit normalem Tee. Sein Haus ist ganz einfach und schlicht, aber offenbar hat er alles, was er zum Leben braucht, und macht einen glücklichen und zufriedenen Eindruck. Zum Abschied machen wir ein paar Fotos von ihm und seinen Mitbrüdern und versprechen, ihm Abzüge davon zu schicken.

Zu Mittag starten wir zu unserem langen Weg über den Himalayakamm bis nach Darcha. Die ersten Tage geht es immer am Zanskar-Fluß entlang. Unsere Rucksäcke sind verdammt schwer und fangen schon nach kurzer Zeit an zu drücken. Bald überholt uns ein anderes Trekkerpärchen. Sie haben ein Pferd gemietet, das ihre Rucksäcke trägt, so dass die beiden leichtfüßig dahinschreiten. Ob wir uns nicht doch auch ein Pferd nehmen sollen? - Aber wir sind doch "richtige" Bergsteiger, nicht solche Flachlandtiroler wie die zwei anderen. Das wäre doch gelacht, wenn wir unsere Rucksäcke nicht alleine tragen könnten! Außerdem ist das gleich ein hervorragendes Training für Nepal.

Wir wandern vorbei an den Klöstern Bardun Gompa und Mune Gompa. Der Weg wird bald recht eintönig - links der Fluß, rechts graubraune Hänge, kaum eine Pflanze. Amüsieren können wir uns immer, wenn wir einer Yak-Karawane begegnen. Diese großen zotteligen Tiere schauen auf den ersten Blick ein bißchen unheimlich aus. Sie sind jedoch sehr ängstlich und trauen sich nicht, auf dem Weg an uns vorbeizulaufen. Lieber machen sie halsbrecherische Umwege über die steilen Hänge, als dass sie uns zu nahe kommen. An diesem Tag wandern wir bis Sulej. Es ist schon ziemlich dunkel, als wir am Fluss unser Nachtlager aufschlagen.

Am nächsten Tag ist das Wetter schlecht: Es weht ein kalter Wind, und Schneeflocken treiben durch die Luft. So sind wir froh, als wir nach einer Weile zu einem Teehaus kommen. Hier können wir uns am Feuer und mit heißem Tee wieder aufwärmen. Wir treffen auch unsere zwei "Leichtfüßler" wieder. Sie haben nicht mal eine Mütze dabei, so dasssie ganz schön frieren. Doch in dem Teehaus, das zugleich Kramerladen ist, gibt es sogar Mützen zu kaufen.

Walter möchte von hier aus einen Abstecher zum Kloster Phuktal machen, das in einem kleinen Seitental liegt. Ich habe allerdings keine große Lust, dorthin zu laufen. Durch die Höhe und das Rucksackschleppen fühle ich mich schon ziemlich ausgepumpt - jetzt möchte ich ohne große Umwege weiter. Um direkt nach Phuktal zu gelangen, muss man den Fluß auf einer schmalen Hängebrücke aus Seilen überqueren. Als ich dieses schwankende und glitschige Ding sehe, trete ich endgültig in den Streik. Da bringen mich keine zehn Pferde rüber! Also wandern wir am Hauptweg weiter bis Purni, wo wir unser Zelt aufschlagen. Ich bin froh, dass ich mich ins Zelt legen kann und nichts zu tun brauche, während Walter alleine auf einem anderen Weg nach Phuktal geht. Die Klosteranlage besteht aus vielen kleinen ineinander verschachtelten Häusern der Mönche, die hoch über dem Tal wie ein Schwalbennest an einer steilen Wand kleben.

Einigermaßen ausgeruht geht es weiter. Wir kommen aus dem Flusstal heraus auf eine Art Hochfläche. Am Abend erreichen wir das Dorf Kurgiakh, den letzten Ort vor dem Passübergang Shingo La. Hier treffen wir sehr nette und freundliche Menschen an. Kurgiakh liegt über 4000 m hoch, und das Leben ist sicher sehr hart, vor allem im langen ladakhischen Winter. Für die rotznäsigen Dorfkinder sind wir "das" Ereignis. Sie beobachten neugierig jeden Handgriff, als wir unser Zelt aufstellen. Auch unser Benzinkocher erregt großes Interesse und Erstaunen. Das Schöne ist, daá niemand bettelt, niemand etwas von uns will - nur eben schauen. Da unsere Essensvorräte schon ziemlich zusammengeschrumpft sind, kaufen und tauschen wir hier Tsampa, Joghurt und Yakkäse. Der Käse schaut zwar ein bißchen schmuddelig aus, aber das stört uns bei unserem Kohldampf recht wenig.

 

Über den Himalaya-Hauptkamm

Am nächsten Morgen bauen wir das Zelt ab und verlassen endgültig bewohntes Gebiet. Im Talschluss steht ein formschöner Berg mit steilen Granitwänden, die sicher noch nicht bestiegen sind. Immer karger wird jetzt die Landschaft. Auf den Gipfeln liegt schon Schnee und das Weiß belebt ein bißchen das eintönige Graubraun der Felsen. Unsere Leichtfüßler mit dem Pferd haben wir schon lange nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich ist es ihnen zu kühl geworden und sie sind umgekehrt. Denn eisigkalt ist es jetzt wirklich - selbst beim Bergsteigen in Südamerika war es wärmer.

Wir übernachten in etwa 4600 m Höhe. Am Morgen ist das Wasser in unserem faltbaren Plastik-Kanister zu Eis gefroren. Jetzt bin ich froh, dass ich die Daunenjacke und meine Plastikbergstiefel in der Super-Warm-Ausführung dabeihabe. Aber was sonst noch alles in unseren Rucksäcken steckt! - Du lieber Gott! Walter macht ein paar Fotos mit unserem ganzen Ausrüstungskram, den er sorgfältig vor dem Zelt ausbreitet. Kassettenrekorder, Reiseliteratur, Sandalen - lauter unentbehrliche Sachen haben wir dabei!

Solchermaßen beladen nehmen wir die letzte Etappe zum Shingo La in Angriff. Als kleine Einlage mssen wir erst noch einen Bach überqueren, der teilweise zugefroren ist und dessen Steine mit einer spiegelglatten Eisschicht überzogen sind. Da freue ich mich wieder! Irgendetwas ist mir nicht so recht bekommen - wahrscheinlich war es der Yakkäse. Auf jeden Fall fühle ich mich überhaupt nicht fit und schleiche im Schneckentempo zum Shingo La hinauf. Auf dem Weg liegt Schnee und ein eisiger Wind pfeift über den Pass. Endlich, endlich sind wir oben - 5100 m hoch. Buddhistische Gebetsfahnen wehen im Wind und zahlreiche Mani-Steine sind aufgeschichtet. Ich bin so kaputt, dass ich die Aussicht gar nicht richtig genießen kann. Bergab geht es Gott sei Dank leichter und schneller. Wir kommen noch bis auf 4400 m hinunter, wo wir das Zelt aufstellen.

Ich schlafe nicht gut, am Morgen ist mir kotzübel, und mein Schädel brummt. Mehr schlecht als recht wanke ich den Berg hinunter. Zwischendurch kommt mal wieder eine nette Bachüberquerung, für die wir uns diesmal sogar anseilen. Aber das regt mich schon gar nicht mehr sonderlich auf. Mir ist heute alles egal. Zeitweise nimmt Walter noch meinen Rucksack, weil ich völlig k.o. bin. Ich glaube, ich war noch nie in meinem Leben körperlich so fertig.  Während Walter nach einer Pause am Nachmittag noch zusammenpackt, gehe ich schon weiter. Nach einer Weile komme ich zu einer herrlichen grünen Wiese. Im nächsten Moment liege ich auch schon langgestreckt da und döse vor mich hin - ach, ist das herrlich! Leider weckt mich Walter bald aus meinen Träumen und wir marschieren weiter.

 

Wieder in der Zivilisation

Heute geht es mir wieder etwas besser, und obwohl meine Gedärme noch immer rumoren, träume ich von einem ausgiebigen Essen in Darcha, das wir heute erreichen wollen. Wir haben unsere ganzen Vorräte aufgebraucht und fragen deshalb die ersten Bauern , die wir treffen nach etwas Essbarem. Wir bekommen sogar ein trockenes Fladenbrot für den ersten Hunger. Wir malen uns aus, was wir am Abend im besten Restaurant des Ortes alles bestellen, und sind guter Dinge. Schließlich erreichen wir das erste Dorf, sehen endlich wieder grüne Felder und freuen uns über große schattige Bäume. Am Nachmittag kommen wir nach Darcha: Wir hatten einen größeren Ort erwartet und können erst gar nicht glauben, dass diese paar Häuser Darcha sein sollen. Unser Traum vom großem Festmenü beginnt zu schwinden. Schließlich finden wir doch eine Art Restaurant: Aber das einzige, was es dort zu essen gibt, sind Reis und Kartoffeln. Na gut - besser als nichts. Wir melden uns beim Militärposten und erfahren, dass der Übergang über den Shingo La wegen Schnee und Kälte um diese Jahreszeit nur noch selten gemacht wird. Unsere Zanskar-Durchquerung ist damit zu Ende. Es war eine ziemlich harte und anstrengende Zeit - aber ein bißchen stolz sind wir schon, dass wir das alles nur zu zweit geschafft haben, ohne einen Tross von Trägern, Führern und Pferden. Und für unsere geplanten Nepal-Touren ist es ganz sicher das beste Training gewesen. Doch in Nepal wollen wir es uns noch etwas komfortabler machen und Träger nehmen.

Die Rückreise nach Delhi erfolgt wieder durch lange Fahrten mit Bussen. Zuerst geht es auf Passstraßen bis nach Manali, einer Sommerfrische der Inder mit Nadelwäldern und Bächen wie bei uns in den Alpen. In der Nähe besuchen wir noch ein kleines Volksfest, bei dem das "Riesenrad" mit Menschenkraft angetrieben wird. Nach einer weiteren ziemlich ungemütlichen Nachtfahrt erreichen wir schließlich Delhi. Wir waren insgesamt fünf Wochen in Nordindien unterwegs und haben dabei volle neun Tage und eine Nacht in Bussen, LKWs oder im Zug verbracht.

Wir haben Glück und erwischen gleich einen Weiterflug nach Kathmandu. Hier in Delhi ist es immer noch sehr heiß, so dass wir froh sind, nicht länger hierbleiben zu müssen. Nachdem wir unsere deponierte Ausrüstung von Familie Bhagat abgeholt haben, fliegen wir nach Nepal, dem zweiten neuen Land unserer Reise.