Kletterschäden

Überlastungsschäden und Verletzungen beim Klettern

 

Muskel-, Bänder- oder Sehnenverletzungen bzw. -überlastungen treten bei Sportkletterern durch die starke Ausweitung des Trainings und durch die enorme Leistungssteigerung – oft innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums - immer häufiger auf und haben z.T. zu kletterspezifischen Schäden geführt.

 

Überlastungsbeschwerden

Überlastungsbeschwerden entstehen durch ein Mißverhältnis zwischen Belastbarkeit und Belastung über einen längeren Zeitraum bzw. dann, wenn sich durch Höchstbelastungen minimale Verletzungen der betroffenen Gewebestruktur summieren und irgendwann nicht mehr kompensiert werden können. Betroffen sind vor allem Sehnen, Sehnenscheiden und Gelenke, da diese schlechter durchblutet sind als Muskelgewebe und länger brauchen, um sich neuen Belastungen anzupassen. Am häufigsten sind bei Sportkletterern Beschwerden an Fingerbeugesehnen und Fingergelenken, dann folgen Ellenbogen und Schultergelenk.

 

Sehnenüberlastungen

Sie entstehen dort, wo stark belastete Muskeln sich zu Sehnen verjüngen oder diese Sehnen in einen Knochen übergehen, wobei jeweils größere Kräfte auf relativ kleine Areale übertragen werden müssen. Dabei kann es zu ausstrahlenden Schmerzen bei bestimmten Bewegungen, v.a. gegen Widerstand, und zu einer daraus resultierenden Kraftminderung kommen. Die durch mangelndes Training oder Überlastung verursachten Beschwerden zeigen einen charakteristischen Verlauf: Sie treten am Beginn der sportlichen Tätigkeit auf, werden nach dem Aufwärmen schwächer, verstärken sich wieder gegen Ende der Belastung und bleiben darüber hinaus als Ruheschmerzen bestehen. Die Behandlung von chronischen Sehnenerkrankungen ist schwierig, langwierig und undankbar - umso wichtiger sind daher vorbeugende Maßnahmen. Bei Sehnenscheidenentzündungen kommt es durch anhaltende Überlastungen zu einer mechanischen Reizung mit Beeinträchtigung des Gleitverhaltens, was sich z.B. in Reiben, Knarren oder Sehnenknirschen äußern kann. Durch einsetzende Entzündungsvorgänge wiederum entstehen Verklebungen und Einengungen der Sehnenscheiden mit ziehenden Schmerzen, Schwellungen und Druckschmerzen entlang der betroffenen Sehne, meist im Unterarmbereich.

 

Ellenbogenbeschwerden

Sie zählen zu den häufigsten Problemen bei Kletterern, v.a. bei Frauen. Hier ist ein besonders kritischer Übergangsbereich mit großen Elastizitätsunterschieden von den starken elastischen Armmuskeln zum starren Knochen, wobei hohe Kraftspritzen der Muskeln durch die Sehnen auf kurzem Weg gedämpft werden müssen. Aus anderen Sportbereichen sind hier der "Tennis-" bzw. "Golfer-" oder "Werfer-Ellenbogen" bekannt, die aber auch den Kletterer betreffen können. Gelegentlich gibt es auch einen sogenannten "Kletter-Ellenbogen" mit Überlastung der Sehnenansätze von starken Oberarmmuskeln in der Ellenbeuge.

 

Schulterbeschwerden

Auch in der Schulterregion können Sehnenbeschwerden auftreten, wie z.B. an der langen Bizepssehne oder an der wichtigen Supraspinatus-Sehne, die beim Seitwärtsheben des Armes unter das Schulterdach gepreßt wird. Beide Sehnen sind besonders gefährdet, da sie durch das Schultergelenk selbst hindurchziehen. Dadurch können sich Sehnenschäden mit chronischen Entzündungen, schmerzhaften Einrissen oder Verkalkungen bilden. Im Extremfall muß hier sogar operiert werden, um Platz für die mechanisch eingeengte und irritierte Sehne zu schaffen.

 

Engpaß-Syndrome

Ein weiteres Problem sind Verengungen, bei denen Nerven an bestimmten Stellen durch zu großen Druck der Umgebung (z.B. durch entzündliche Schwellungen von Muskeln oder Sehnenscheiden und durch Vernarbungen) irritiert werden. Bei Kletterern können durch sportliche Überlastung der ellenbogennahe innere Unterarmbereich oder das Handgelenk betroffen sein. Folgen hiervon sind meist Druck- und Belastungsschmerzen sowie ein (nächtliches) Taubheits- bzw. Pelzigkeitsgefühl in den Fingern.

In all diesen Fällen empfiehlt sich ein Arztbesuch bei einem Orthopäden bzw. Neurologen, um die richtige Diagnose und Behandlung zu erhalten. Evtl. muß zur Erholung von eingeengten Nerven im Handgelenksbereich (Carpaltunnelsyndrom = CTS) eine Nachtschiene getragen werden bzw. der Druck auf den betroffenen Nerv durch eine Operation beseitigt werden.

 

Fingerprobleme

Je extremer geklettert wird, desto häufiger sind in der Regel Fingerprobleme. Als Anpassungsvorgang an verstärkte Belastungen im Fingerbereich kann es zu einer Verdickung der Seitenbänder an den Mittelgelenken, der kleinen Handmuskeln, der Beugesehne und selbst der Knochen kommen! Jedoch sind auch vorzeitige Verschleißerscheinungen der Fingergelenke durch die extremen Zug- und Scherbelastungen häufig. Hierunter fallen vor allem Streckdefizite der Finger mit Morgensteifigkeit und Einschränkungen bei feinmotorischen Bewegungsabläufen sowie bleibende Schwellungen der Gelenkkapseln durch Ergüsse und chronische Entzündungsreaktionen.

Bei den sogenannten "Kletterfingern" handelt es sich um Veränderungen der mittleren Gelenke, meist von Mittel- und Ringfinger, bei denen oft Beugesehnenreizungen bzw. Entzündungen der Sehnenscheide mit diffuser Schwellung und Druckschmerzen vorliegen. Auf Röntgenbildern können verschleißbedingte Knochenveränderungen auffallen - insgesamt besteht für den extremen Sportkletterer vermutlich eine vergrößerte Arthrosegefahr.

Sonstige Beschwerden

In seltenen Fällen kann es durch einseitige Überbelastungen auch zu Wirbelsäulenbeschwerden (z.B. bei sehr häufigen Stürzen) oder Muskelverhärtungen (Myogelosen) im Bereich des Unterarms oder des Schultergürtels kommen. Auch die Entwicklung eines Ganglions (flüssigkeitsgefüllte Ausstülpung einer Gelenkkapsel oder Sehnenscheide bzw. "Überbein") ist möglich und bei Kletterern meist an der Beugesehnenscheide im Fingergrundgelenk lokalisiert.

Durch intensives Aufwärmen und Rücksichtnahme auf erste Schmerzanzeichen, können die meisten vorbeschriebenen Überlastungsschäden beim Sportklettern jedoch vermieden werden.
 

Verletzungen beim Sportklettern

Die Verletzungen beim Sportklettern ereignen sich etwa gleichmäßig beim Training und Klettern, wobei oft ein unkontrollierter Sturz die Ursache ist. Überwiegend sind die oberen Extremitäten betroffen (85 % aller Verletzungen), und hier ganz besonders die Hände (50 %). Allerdings treten in letzter Zeit bei Sportkletterern auch häufiger Verletzungen des Innenmeniskus auf. Durch die sogenannte "Froschstellung" mit Abbeugen der Knie über 90 Grad wird vor allem der Innenmeniskus zwischen den Gelenkanteilen stark komprimiert und kann bei zusätzlicher Rotation einreißen.

Auffallend ist, daß Verletzungen und Überlastungsbeschwerden ziemlich häufig am - relativ schwach trainierten und kürzeren - Ringfinger auf Grund ungünstiger Hebelverhältnisse auftreten. Besonders kritische Situationen hierfür sind ein Ausrutschen der Füße mit Auffangen des Körpergewichtes mit einer Hand, Schnappen nach Griffen, Verkanten in Fingerlöchern mit schädlichen Scher- und Rotationskräften sowie auch dynamisches Durchziehen an einem einzigen Griff oder längeres Klettern an der Leistungsgrenze in ermüdetem Zustand.

Besonders gefährlich ist das Klettern mit aufgestellten Fingern an sehr kleinen Griffen, weil hier aus biomechanischen Gründen eine maximale Belastung bzw. Sehnenanspannung auftritt. Hierbei kommt es leicht zu Sehnen- oder Bändereinrissen der Finger, wobei oft ein lautes Schnalzen oder Krachen gehört werden kann. Als Folge treten druckschmerzhafte Schwellungen und Blutergüsse im Fingergrundglied oder Bewegungseinschränkungen im Fingermittelgelenk auf.

Häufig kommt es auch zu einer akuten Ringbandverletzung, wobei manchmal ein lautes Schnalzen oder Krachen gehört werden kann.  Ebenso ist aber auch eine schleichende Ringbandüberlastung möglich, die leider anfangs meist unterschätzt und deswegen oft verschleppt wird.Die fürs Klettern sehr wichtigen Ringbänder fixieren die Beugesehnen am Fingerknochen und verhindern, daß sich Sehnen bei Beugebelastung wie bei einem gespannten Bogen abheben. Auch abgerissene Sehnenscheiden der Fingerbeuger sind typisch und werden ebenfalls nur bei Sportkletterern beobachtet. Da diese Verletzungen unbehandelt mehrere Monate bis zur Ausheilung benötigen, dürfen sie keinesfalls als Bagatelle ignoriert werden, sondern müssen rechtzeitig erkannt und richtig behandelt werden.
 

Allgemeine Behandlungsmöglichkeiten

Am Anfang jeder Behandlung muß stets die Entlastung und Schonung des verletzten Gewebes stehen - das Weitertrainieren unter Schmerzen bringt keine Besserung der Beschwerden, sondern verlängert in der Regel die Krankheitsdauer. Es empfiehlt sich eine lokale Behandlung mit Eis, Hochlagern und Salbenverbänden. Eis mindert bei einer akuten Verletzung Schmerzen und die Schwell- und Ergußneigung durch Minderdurchblutung des betroffenen Bereiches. Bei einem frischen Unfall soll aber nach 15-20 Minuten Einwirkzeit das Eis durch eine Kompression mit einer elastischen Binde abgelöst werden, weil es danach sonst zu einer reaktiven Mehrdurchblutung durch Weiterstellung der Blutgefäße kommt.

Bei einer späteren Behandlung hingegen wird dieses Wirkprinzip als erwünschter Effekt, z.B. bei Eisabtupfungen, angestrebt. Entzündungshemmende Tabletten können bei akuten Überlastungsbeschwerden vor allem am Ellenbogen eingenommen werden. Zusätzlich soll nach dem Abklingen der akuten Schmerzphase mit Krankengymnastik (Dehnungsübungen, Friktionsmassagen), Ergotherapie (spezielle Gymnastik für Finger und Hände), Elektrotherapie (z.B. Iontophorese) oder Ultraschall begonnen werden. Manchmal können auch Spritzen mit einem Lokalanästhetikum und entzündungshemmenden Mitteln den Teufelskreislauf von verspannter Muskulatur und Schmerzen durchbrechen. Verdünnte Kortisonspritzen (z.B. in betroffene Sehnenscheiden) stehen am Ende der konservativen Therapie. Hilft auch das nicht, kommen nur noch operative Maßnahmen für die weitere Behandlung in Frage.

Bei frischen Fingerverletzungen besteht in der Regel die Behandlung zunächst in einer konsequenten Ruhigstellung des betroffenen Fingers (mit einer kleinen Schiene oder Bandage bzw. durch Tapen an den Nachbarfinger) für 1-3 Wochen sowie Anwendung von Eis zur Schmerzbekämpfung. Später sind Wechselbäder und Übungen mit einer Handknetmasse empfehlenswert. Besonders wichtig ist hier eine intensive Rehabilitation und ein Kletterverbot für 4-16 Wochen!

Da sich erfahrungsgemäß viele Kletterer nicht konsequent an ein Kletterverbot halten, sollte im Verletzungsfall systematisch eine Ausweichsportart betrieben werden, die den psychisch "schmerzhaften" Verlust der Lieblingssportart etwas ausgleichen kann. Zugleich sollte jedem Verletzten klar sein, daß das Ignorieren der Verletzung und daraus resultierende chronische Beschwerden die zukünftige Ausübung des Sportes gefährden.
 

Trainingsgrundsätze und Vorbeugungsmaßnahmen

Bei Wiederaufnahme des Klettertrainings sollten folgende Punkte beachtet werden:

  • vor jeder Belastung konsequentes Aufwärmen und Dehnungsübungen, v.a. der Unterarmmuskulatur,
  • nach Fingerverletzungen Anlage eines stabilisierenden Tape-Verbandes über dem Ringband oder dem betroffenen Gelenk,
  • ggf. Anlegen einer Ellenbogenbandage bzw. eines Unterarm-Tapeverbandes zur Stabilisierung,
  • in der Rehabilitationsphase nur langsame Steigerung des Trainingsaufbaus,
  • Training nicht nur der Beugemuskulatur, sondern auch der Strecker für den Fingerbereich,
  • Wechsel in der Belastung zwischen Maximalkraftbeanspruchung und Kraftausdauer,
  • unbedingt rechtzeitiger Abbruch des Trainings vor starker Ermüdung und Nachlassen der Konzentration,
  • nach dem Training den verletzten oder überlasteten Bezirk mit Eis kühlen (z.B. Eisabreibungen).
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Allgemeine Vorbeugungsmaßnahmen

Da die Überlastungsprobleme durch extremes Klettern oft sehr langwierig und undankbar sind, ist eine entsprechende Vorbeugung besonders wichtig. Hierzu gehören z.B.:

  • konsequente vorangehende Aufwärm- und Dehnübungen (mindestens 20 Minuten),
  • oder Einklettern in niedrigeren Schwierigkeitsgraden (1 - 3 Seillängen),
  • langfristiger, systematischer Trainingsaufbau mit Periodisierung in verschiedene Zyklen mit genügend Regenerationszeiten und Stabilisierungsphasen,
  • maßvolle Steigerung von Trainingsumfang und -intensität, besonders der Maximalkraft bei sehr jungen Kletterern,
  • auch allgemeines Kraft- und Konditionstraining neben Kraftausdauer, Beweglichkeit und Koordination,
  • genügend Pausen zwischen den einzelnen Versuchen an der Leistungsgrenze bzw. Kletterstop bei Schmerzen oder evtl. Erschöpfungsanzeichen,
  • Vermeidung schädlicher Griffbelastungen wie Aufstellen der Finger an schmalen Leisten, Klimmzüge an Fingerlöchern, Schnappen und Springen nach zu kleinen Griffen, Training mit zu hohen Zusatzgewichten oder Nachgreifen bei Stürzen,
  • Üben an einem individuell anatomisch geformten Trainingsbalken,
  • hilfreich ist zudem ein geringes Gewicht des Kletterers.

Durch richtiges und individuell dosiertes Training können Verletzungen und Überlastungsbeschwerden weitgehend vermieden werden. Trotzdem werden sich gewisse Gesundheitsstörungen bei extremen Kletterern nie ganz vermeiden lassen. Problematisch wird es v.a. dann, wenn Sportler im Gegensatz zur Allgemeinbevölkerung sehr oft ihre Beschwerden nicht genügend beachten und bagatellisieren, um möglichst rasch wieder ihre Freizeitaktivität ausführen zu können. Umso wichtiger ist es - wie generell beim Bergsteigen - seine eigenen (gesundheitlichen) Grenzen zu erkennen und die richtigen Konsequenzen zu ziehen, z.B. Technikverbesserung, Sportpause bzw. vorübergehende Schonung oder Arztbesuch mit entsprechender Therapie!

 

Literatur:

Hochholzer Thomas, Schöffl Volker:
Soweit die  Hände greifen
Lochner-Verlag, 5.Auflage 2009, 270 Seiten

Treibel Walter:
Erste Hilfe und Gesundheit am Berg und auf Reisen
Bergverlag Rother München, 2. Auflage 2011, 200 Seiten