Indien: Shivling-Expedition
Bericht mit Bildern

Shivling-Expedition - Nordindien 2003

 

Karin und ich brechen diesmal nach Nordindien auf und zwar von Mitte Mai bis Mitte Juni 2003 (inklusive Pfingstferien). Nur zu viert wollen wir zum Shivling, einem der schönsten Berge der Welt im wilden Gharwal-Gebirge, das nahe der tibetischen Grenze zwischen Nepal und Ladakh liegt. Auf der dreitägigen Busfahrt vom heißen Delhi ins Hochgebirge fahren wir ab Rishikesh immer entlang dem heiligen Ganges-Fluß aufwärts. Unterwegs treffe ich einen Teilnehmer von unserer internationalen Kun-Expedition von 1989, der inzwischen Ausbilder bei der nationalen Bergsteigerschule geworden ist.

Am Ende der Straße in Gangotri geht es dann zwei Tage zu Fuß weiter ins Basislager. Dieser Weg ist ein vielbegangener Pilgerpfad, der zur Ganges-Quelle führt, die als der heiligste Ort der Hindus gilt. Mit uns sind Hunderte von frommen Pilgern unterwegs, z.T. auch auf Pferden oder ausnahmsweise in einer Sänfte getragen.

Auf der schönen Wiese von Tapovan errichten wir auf 4000 m als einzige Expedition unser Basislager. Mein Namensvetter Walter, ein Reiseleiter aus Wien und sein Freund Roland sind unsere angenehmen Gefährten. Der junge Verbindungsoffizier Barar, beruflich Jurist, ist zum ersten Mal auf einer Expedition, während Ashok als Agenturbegleiter schon viel organisatorische Erfahrung mitbringt. Zusammen mit dem Koch und einem Helfer sind wir acht Personen, die sich gut untereinander verstehen.

 

Der Shivling ist ein so steiler und anspruchsvoller Berg, daß wir nur auf dem Normalweg eine Chance haben. Bei unseren Vorstößen in die Höhe zum Gepäcktransport und Akklimatisieren sehen wir zum ersten Mal die geplante Route. Ein Felsgrat mit Kletterpassagen führt direkt zu einem riesigen Gletscherabbruch mit ca. 500 m Breite und 80-100 m Höhe, der überklettert werden muß. Das sieht aber schwierig und gefährlich aus!

Nach einem vorgeschobenen Basislager in fast 5000 m Höhe errichten wir unser erstes Hochlager auf 5300 m, in dem wir gleich eine Nacht schlafen. Nach einem Ruhetag im Basislager geht es gleich wieder zurück in die Höhe. Walter und Roland gehen voraus und finden auf dem Gletscher plötzlich Karins Daunenjacke und dann ein völlig zerstörtes Zelt! Durch einen Serac-Ausbruch hat eine riesige Eis- und Schneelawine unser ganzes Hochlager trotz seiner sicher scheinenden Hügellage überspült. Die ganze Ausrüstung liegt durch die Gewalt der Schnee- und Eismassen Hunderte von Metern über den ganzen Gletscher verstreut und ist schneebedeckt. Wir sammeln so viel wie möglich davon ein und steigen dann wieder ab.

 

Im Basislager feiern wir alle gemeinsam Geburtstag, denn die Lawine hätte auch uns im Hochlager überraschen können. Übereinstimmend beschließen wir, die Expedition abzubrechen. In den Alpen käme kein Bergsteiger auf die Idee, so einen großen Gletscherabbruch zu überklettern - und auch ein so formschöner Gipfel wie der Shivling ist es nicht wert, ein zu großes Risiko einzugehen. Noch einmal steigen wir auf und packen alle Sachen ein, die wir noch finden können. Zum Glück verlieren wir - außer zwei völlig zerstörten Zelten - fast nichts von unserer Ausrüstung, selbst ein Objektiv von mir liegt unversehrt im Schnee.

 

Roland und Walter wollen danach möglichst bald nach Hause zurück und verlassen das Basislager vorzeitig. Karin und ich nutzen die restliche Zeit noch und machen einen Versuch am gegenüberliegenden Baghirathi II, einem ebenfalls schönen Gipfel mit 6500 m Höhe. Inklusive einer mühsamen Gletscherüberquerung schleppen wir in zwei Tagen unsere Ausrüstung mit fast 60 kg bis auf 5400 m hinauf. Ein Gipfelversuch von hier aus scheitert jedoch: Der ostseitige Anstieg ist durch die starke Sonneneinstrahlung aufgeweicht und somit lawinengefährdet, und wir sind auch schon etwas ausgepowert. Auch in Indien gibt es wie in Europa eine verstärkte Hitzeperiode - beim Rückweg haben wir größte Schwierigkeiten, die stark angestiegenen Gletscherbäche zu überqueren. An einer Stelle haben wir etwas Ausrüstung deponiert, und ich muß - voll angezogen - den reißenden Bach bis zur Hüfte durchwaten, um unsere Sachen wieder zu holen. Dafür haben wir abends einen fantastischen Blick auf den gegenüberliegenden Shivling, dessen Spitze aus einem Wolkenmeer im Abendlicht herausragt. Den letzten Tag im Basislager nützen wir für eine schöne Urgesteinskletterei an einem ausgesetzten Granitgrat.

 

Auf dem Rückmarsch haben wir wieder einige interessante Begegnungen mit Sadhus und Jogis, den heiligen Männern des Hinduismus, die oft nur mit den Kleidern auf dem Leib, einer Decke sowie einem Topf lange Pilgerreisen unternehmen und von den Almosen der Pilger leben. Die Rückfahrt dauert diesmal nur zwei Tage, es wird aber in der Tiefebene mörderisch heiß, ungefähr 45 Grad Celsius im Auto! Nur sehr mühsam und mit Kostenzusage können wir den Fahrer überreden, die neu eingebaute Klimaanlage auch einzuschalten! Sehr dankbar dafür ist auch unsere einheimische Mannschaft, die z.T. genauso schweißüberströmt sind wie wir zwei Europäer. Aufgrund dieser extremen Hitze, die Tausende von Todesfällen verursacht, verzichten wir auf ein Besichtigungsprogramm und fliegen zwei Tage früher nach Hause.

 

Ohne eine echte Chance auf einen Gipfelerfolg gehabt zu haben, liegen die Schwerpunkte dieser Reise auf dem kulturellen Gebiet und einer wilden Landschaft, wobei ich mit meiner fotografischen Ausbeute sehr zufrieden bin.